Der Höhenrausch am Monte Bondone

Zweite Coursing-Europameisterschaft – Dieses Jahr in Italien

Von Gerhard Franz

Nachdem man die Stadt Trento schon eine halbe Stunde hinter sich gelassen hatte und vielleicht auf 1200, vielleicht auf 1400 Höhenmetern immer noch am Lenkrad herumschraubte, da warf man doch schon mal bescheiden die Frage auf – an den Partner, an sich, an die Hunde: Was machen wir eigentlich hier? Gut, für meine Frau Marina war die Sache leicht zu beantworten: Sie sollte sich da oben in den Bergen an den nächsten drei Tagen um die Betreuung der deutschen Teilnehmer bei der zweiten Coursing-Europameisterschaft kümmern. Die Hunde, okay, die freuten sich, dass sie mit uns wieder unterwegs waren. Und ich? Tja, ich war eigentlich nur neugierig, was für eine Europameisterschaft uns die Italiener anbieten würden, nachdem die Franzosen im Vorjahr ein Championat ausgerichtet hatten, das in den Köpfen einiger deutscher Teilnehmer mit kritischen Anmerkungen an die Erinnerungswand gepinnt wurde: wegen der Rustikalität des Veranstaltungsorts, wegen des durch die Parcours‘ durchfließenden Gewässers, das auf Grund der steilen Ufer manchen riskanten Sprung provozierte, oder etwa wegen organisatorischer Disharmonien.

Im Juli 2002 im lothringischen Charmes habe ich den Mangel an funktioneller Zielsicherheit des ausrichtenden Clubs gar nicht mal so schlimm empfunden, wenn auch unsere Barsoi-Hündin Dolina fälschlicherweise als Coursing-Europameisterin geehrt wurde, obwohl sie gar nicht die meisten Punkte bekommen hatte. Wenn auch die hygienischen und sanitären Ansprüche eines DWZRV-Mitglieds wesentlich höher geschraubt sein dürften, als sie ein französischer Coursing-Club zu erfüllen gewillt ist: Dort zieht man die Coursings in der Regel nicht auf Vereinsgelände, sondern auf Äckern, Weiden und Almen in der freien Natur, so dass an die Befriedigung sanitärer Wünsche nicht besonders viele Gedanken verschwendet werden dürften – allenfalls spielt bei den Galliern die Versorgung mit Rotwein eine übergeordnete Rolle. Und in dieser Hinsicht ließ Charmes keine Wünsche offen: Ein Winzer war eigens aus dem Beaujolais angereist, um seine erlesenen Tropfen auszuschenken und zu erklären. Mit Alfred Wilhelm habe ich da ein paar schöne Stunden verbracht.

Und nun Monte Bondone.

Natürlich hatten wir uns schon im Jahr vorher gefragt, wie die Italiener das Hitze-Problem lösen würden, nachdem es schon in Charmes Anfang Juli 2002 sehr heiß gewesen war. Natürlich hatten wir – typisch deutscher Perfektionsdrang – auch den Gedanken im Hinterkopf, dass es wieder mit der Organisation hapern könnte: Viel Parcours-Aufwand, viel Technik, viel Sprachen-Wirrwarr.

Natürlich gab es auch am Monte Bondone Grund zum Meckern oder Grund, seine Hilfe anzubieten – je nach Standpunkt. Am Sonntag Nachmittag, auf dem Höhepunkt der Prüfungen, gaben nämlich die Akkumulatoren, die den Strom für die Hasenzugmaschinen lieferten, ihren Geist auf. Ein dienstbarer Mensch hatte, als er am frühen Sonntagmorgen nach Hause ging, alle Schalter des Wintersportzentrums auf Null gestellt – um ja keinen Strom zu vergeuden. Das bedeutete, dass die an den Saft angeschlossenen Akkus auch nicht mehr geladen werden konnten. Nun war guter Rat teuer. Am Ende siegte die Kunst der Improvisation: Auf dem einen Parcours lieferte der leise blubbernde Geländewagen einer belgischen Tierärztin den Strom für den elektrischen Hasenzug, auf dem anderen kam ein Zug mit Ottomotor zum Einsatz.

Die Sache mit den Akkus, das war aber offenbar das einzige, was nach außen erkennbar nicht klappte. Bis auf ein paar Seilrisse zu viel hätte man von einem perfekten Coursing sprechen können. Alles Übrige lief wie am Schnürchen: die Kommunikation, die Abstimmung, der Ergebnisdienst. Ich selbst habe kaum eine internationale Großveranstaltung in Erinnerung, die in den letzten Jahren einen solch nachhaltigen Eindruck hinterließ wie das Coursing am Monte Bondone. Allenfalls die WM 1996 oder die EM 2002 in Rabapatona. Aber bei den Rennen in Ungarn waren wir auf das Vereinsgelände eingeladen; in Italien nahmen wir die Gastrechte eines Wintersportzentrums in Anspruch, das mit Windhunden normalerweise gar nichts zu tun hat. Picobello waren hier die sanitären Einrichtungen, die im Winter von der italienischen Skilanglauf-Elite benutzt werden; grandios war dieses alpine, sonnige Fleckchen Erde. Genial war der Einfall, die Flaggenparade mit Paraglidern vom benachbarten Gipfel aus einfliegen zu lassen. Insofern muss man den italienischen Organisatoren um Leandro Leandri, Massimo Bottura und Teresa Durando Fassio Respekt zollen. Alle Nachfolger werden Schwierigkeiten haben, die Highlights vom Monte Bondone in irgendeiner Weise zu toppen.

Übrigens, das Problem der Hitze, die den Hunden bei den Läufen in der Sonne schwer zu schaffen macht, hatten die Italiener mittels Höhenmetern gelöst. In über 1500 Metern über dem Meer wird die Luft halt nie so warm wie im Flachland.

Hier noch ein paar Daten zur Statistik: Zu den Läufen am Samstag und Sonntag (21./22. Juni) waren insgesamt 343 Hunde gemeldet worden, davon 61 aus Deutschland. Sie mussten an beiden Tagen Parcours‘ von geringerer Schwierigkeit bewältigen. Weder gab es Gewässer, noch tiefe Gräben, selbst auf lange Steigungen wurde verzichtet. Das Gelände war eher wellig auf Almwiesen mit einer Höhendifferenz von höchstens 20 Metern. Schwere Verletzungen wurden nicht bekannt; Zehenbruch und Nagelabriss waren noch am gravierendsten. Deutsche Siege gab es bei den Azawakh-Rüden (Kassam/Vogelsang), bei den Irish Wolfhounds – gemischt (Ivory/Ernst) und bei den Whippet-Hündinnen (Daisy/Behrens). Mit einem Doppelsieg bei den Saluki-Hündinnen (Pervin) und bei den Sloughi-Hündinnen (Yashaya) erntete die Familie Kopriva aus deutscher Sicht die meisten Lorbeeren.

Monte Bondone, das imposante Bergmassiv mit seinen vier Gipfeln, hat bei den Besuchern aus dem Norden einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Für den Giro d’Italia scheint dieser Aufstieg so etwas zu sein wie der Mont Ventoux oder der Tourmalet für die Tour de France. Beim letzten Mal, als der Monte Bondone Etappenziel des Giro war, lagen oben auf dem Pass über zehn Zentimeter Schnee. Von Trento bis zum höchsten Punkt (1650 Meter in Vason) brauchen waghalsige Motorradfahrer zur Überwindung der 1400 Meter Höhendifferenz bei 110 Kurven gerade mal zehn Minuten; Pantani, Armstrong, Ullrich und Konsorten schaffen es in rund 50 Minuten. So wurden Ralf Löwe und ich bei einem Ausflug in die niederen Gefilden jedenfalls von einem betagten Anhalter belehrt. Geplagte Gespannfahrer müssen fast 45 Minuten lang am Lenkrad kurbeln, am Schluss nur noch im ersten Gang. Und wenn man abends nach Einbruch der Dämmerung ins Tal gondelt, hat man mehrfach Eindrücke, als würde man fliegen.

Der Monte Bondone und die Coursing-EM in Italien: Wir sind beeindruckt.