Windhunde in Konkurrenz zur Tour de France – Die

Coursing-EM 2004 in den belgischen Ardennen

Von Gerhard -Franz

Das Wochenende vom 3./4. Juli 2004 hatte es in sich. Denn da fand nicht nur das Endspiel der Europameisterschaft im Fußball statt. Da fuhr die Formel 1 im französischen Grand Prix um Punkte, da wurde in Wimbledon zum Endspiel im Tennis aufgeschlagen. Und es gab den Prolog und die erste Etappe der Tour de France, ausgerechnet in den belgischen Ardennen, wohin die Commission des Lévriers (CDL) zur dritten Coursing-Europameisterschaft eingeladen hatte.

So war es denn wirklich kein Wunder, dass der Präsident der belgischen Coursing-Kommission, Hubert Iser, nach der Coursing-EM bezüglich des Publikums-Zuspruchs feststellte: "Es kamen eigentlich nur Windhundeleute, keine anderen Zuschauer." Sonntags war das Städtchen Hotton, wohin die Coursing-Spezialisten aus 13 Ländern angereist waren, zweigeteilt. Die Hauptstraße durch das Tal des Flusses Ourthe mit der einzigen Brücke in der zentralen Ortslage war am Sonntag von morgens an für die Tour de France gesperrt. An den Zufahrten nach Hotton standen Schilder, die jeweils eine Sackgasse auswiesen. Ortskundige Belgier blieben da lieber zu Hause oder radelten zu interessanten Punkten der Tour-Strecke, um Radsport-Idole wie Lance Armstrong und Jan Ullrich, Jens Voigt oder Iban Mayo aus aller Nähe zu betrachten. Dazu Hubert Iser: "Der Zeitpunkt war nicht sehr günstig. Vielleicht hat Hoope mit der Ausrichtung der EM 2005 mehr Glück. Das ist erst im September."

Aber dennoch. Trotz der kaum zu überbietenden Anhäufung sportlicher Großveranstaltungen und des für die Nähe zum Ärmelkanal typischen Wetters ("der Sommer findet in den kurzen Abschnitten zwischen den einzelnen Schauern statt") war die Coursing-Europameisterschaft ein Erfolg. So bilanzierte Martin Haas, der Chef der CDL: "Es war eine schöne Veranstaltung, weil auch alles ganz gut geklappt hat. Auf Kleinigkeiten, die schief gelaufen sind, braucht man nicht näher einzugehen, so was gibt es immer." Ähnlich urteilte Iser: "Das ganze Wochenende ist sehr schön gewesen. Das zeigt, dass wir in der Windhundewelt einiges anzubieten haben."

Und so sah die Veranstaltung in Hotton aus: Es waren 437 Windhunde gemeldet, 94 mehr als im Jahr zuvor am Monte Bondone in Italien. Allein aus Deutschland kamen 108, in Italien waren es 61. Am Samstag und Sonntag mussten die Starter jeweils einen Lauf über rund 900 Meter auf zwei unterschiedlichen Parcours‘ absolvieren, wobei am Sonntag ein drittes Feld eröffnet wurde, das ursprünglich für Whippets und Windspiele vorgesehen war. Das Gelände stellte aufgrund seiner Ebenheit oder der nur schwachen Neigung keine besonderen Anforderungen an die Tiere, zumal es auch keine Hindernisse gab. Jedoch bedeutete die 900-Meter-Distanz eine echte Herausforderung für die Coursing-Cracks, weil man am Ende sehr wohl zwischen matten Kurzstrecklern und ausdauer-starken Energiebündeln unterscheiden konnte. Am schönsten war der untere flache Parcours mit ein paar Pappeln in einer parkähnlichen Ebene, die von Waldstücken gesäumt wurde. Hier hatten die Flitzer am Sonntagnachmittag mit dem regennassen, glitschigen Geläuf zu kämpfen.

Hervorzuheben sind die beiden Siegesfeiern in den Abendstunden vor dem Festzelt, als das Wetter sich beruhigt hatte. Da wurde gejubelt und applaudiert, wenn die Flaggen der siegreichen Windhunde beim Klang der jeweiligen Nationalhymne am Mast aufstiegen. Die Hymnen ertönten insgesamt 22 Mal, obwohl eigentlich nur 21 Titel zu vergeben waren. Aber bei den Galgos hatten eine belgische und eine deutsche Hündin jeweils dieselbe Punktzahl erreicht. Im Vergleich zum Monte Bondone verdoppelte sich die Zahl der deutschen Siege auf zehn, und zwar bei den Hündinnen und Rüden der Azawakh, der Irish Wolfhound, der Galgos sowie der Sloughis, außerdem bei den Barsoi-Rüden und den Whippet-Hündinnen.

Die Freunde von Pommes frites kamen in Hotton ebenso auf ihre Kosten wie die des Bieres. Denn es gab neben einem ansehnlichen Blonden vom Fass zwei Starkbiere aus der Abtei von Leffe, hell und dunkel, sowie eine auf Hefe gelagerte Spezialität, die ihre Geschmacksfülle der in Deutschland nicht erlaubten Zugabe von Kräutern verdankt.

Natürlich gab es auch Vorkommnisse, die nicht besonders erfreulich waren. So wurde bei den Azawakh-Rüden ein italienischer Windhund als Europameister geehrt, obwohl er zuvor am Ende des Wettbewerbs disqualifiziert worden war. Dies fiel allerdings erst im Zuge der Siegerehrung den betreffenden Richtern auf. Die Besitzerin des Rüden vergoss beim Klang ihrer Nationalhymne Freudentränen; von der Disqualifikation hatte sie keine Ahnung, weil diese Urteile auf dem Dienstweg zwischen den Funktionären weitergeleitet wurden. Offenbar waren bei der Meldung der Disqualifikation einfach nur die Farben Rot und Weiß verwechselt worden. Um solche Missverständnisse, die für die Besitzer ganz schön hart sein können, in Zukunft zu vermeiden, regten einige Funktionäre noch im Lauf der Veranstaltung an, in Zukunft Disqualifikationen sofort öffentlich zu machen, damit jeder weiß, woran er ist.

Das zweite Vorkommnis, das zum Nachdenken Anlass gibt, ist das Herz-Kreislaufversagen eines Barsoi-Rüden direkt am Zieleinlauf des ersten Durchgangs. Nachdem die schwedische Züchterin des Rüden ihre Einwilligung gegeben hat (und wohl auch ein belgischer Fotograf das Ereignis verfolgt hat), hier die Einzelheiten: Als das Hetzobjekt nach 900 Metern bereits zur Ruhe gekommen war, sprintete der fünfjährige Rüde heran. Doch statt sich auf den Hasen zu stürzen, vollführte er einen Sprung in die andere Richtung und plumpste reglos zu Boden. Einer zupackenden Herzmassage und einer sofortigen Akupressur-Anwendung zur Stützung des Kreislaufs ist es wohl zu verdanken, dass der Rüde nach einigen bangen Minuten wieder auf die Beine kam. Das ist der positive Aspekt des Zwischenfalls. Doch wie konnte es dazu kommen? War der Hund zu alt, zu wenig trainiert? War am Ende die Wurmkur schuld, die dem Tier gerade mal 20 Stunden vor dem Coursing verabreicht wurde? Denn dies ist eine Spezialität der schwedischen Ein- und Rückreisebestimmungen: Innerhalb von 48 Stunden vor der Einreise nach Schweden muss dem Hund unter tierärztlicher Aufsicht eine Wurmkur verabreicht werden; dafür ist eine entsprechende Beglaubigung erforderlich. Um dieser Vorgabe korrekt zu genügen, wurde dem Rüden Samstag abends bei der Tierarztkontrolle in Hotton die Wurmkur in den Schlund gesenkt.

Inzwischen liegt der Befund eines schwedischen Tierarztes vor, der besagt, dass der Rüde zum Zeitpunkt des Zwischenfalls an einer Halsentzündung litt, die sich auf das Herz auswirkte. Damit sei das Vorkommnis von Hotton zu erklären. Wir gehen davon aus, dass diese Version stimmt.

Dann gibt es aber noch eine echte Problematik, mit der sich die Windhunde-Organisationen in den nächsten Jahren auseinander setzen müssen. Im Vergleich zu Italien sind in Hotton die Teilnehmerzahlen explodiert, um ein rundes Drittel nach oben geschnellt. Schon fürchtet Huber Iser, "dass das unbeherrschbar sein wird": noch mehr Teilnehmer, noch größere Felder, noch mehr Funktionäre, die am Ende gar auf vier Parcours‘ das Geschehen an den beiden Tagen des EM-Championats im Griff behalten müssen. Dabei stelle sich dann, so Hubert Iser, die Frage nach der Bewältigung der Aufgaben. Denn für Hotton habe die belgische Coursing-Kommission alle Windhund-Clubs des Königreichs einspannen wollen. Bloß seien dem Appell nicht alle gefolgt. Iser: "Wir hatten im ganzen noch zu wenig Leute." Das liege wohl daran, dass die Aktiven des Renngeschehens sich nicht oder nur wenig für die Belange des Coursings einspannen ließen. Eine Beobachtung, die mit der Situation in Deutschland deckungsgleich sein dürfte.

Hubert Iser meint, dass bei einer Betrachtung von Kosten und Einnahmen die Veranstaltung von Hotton nicht gerade profitabel gewesen sei. Doch das sei nicht so wichtig: "Hauptsache, es hat geklappt – und wir haben ein bisschen Propaganda für das Coursing machen können."

Die bange Frage nach dem Training

Bezüglich der Geländestruktur war die Coursing-EM von Hotton nicht gerade die größte Herausforderung, dafür aber bezüglich der Länge der zurückzulegenden Distanz. Am Samstag hat Marina Franz, die deutsche Equipe-Chefin, bei den Sloughis die Zeit genommen. Danach waren die Hunde genau 55 Sekunden unterwegs, fast eine Minute lang, fast doppelt so viel wie auf der Rennbahn. Im Wettbewerb muss jeder Windhund zweimal eine Strecke von rund 900 Metern hinter sich bringen, eine Anstrengung, die durchaus an den Rand der Möglichkeiten des einen oder anderen Tieres geht. Doch während der Zuspruch zu den Coursing-Wettbewerben (nicht aber zum Coursing-Training) steil nach oben klettert, stellt sich der Beobachter die Frage: Werden die Tiere für so eine Prüfung überhaupt ordentlich vorbereitet? Was muss man denn tun, damit Deerhound und Afghane, Sloughi und Barsoi durch eine Wettbewerbsdistanz von insgesamt 1800 Metern nicht überfordert werden?

Einerseits sollte man den Windhundesport nicht durch weitere Reglementierungen noch komplizierter machen. Andererseits wäre es aber sinnvoll, wenn im Sinne des Tierschutzes nur solche Windhunde an den Start gehen dürften, die den Herausforderungen konditionell wirklich gewachsen sind – nach aller Voraussicht jedenfalls. Eine Möglichkeit bestände sicherlich darin, jene Tiere, die für eine große Coursing-Prüfung vorgesehen sind, zur Vorbereitung auf den Wettbewerb auf den Rennbahnen zwei Runden am Stück zu ziehen – da kämen rund 900 Meter zusammen. Aber dies natürlich nicht nur ein Mal. Und diejenigen, die zum Coursing gehen, sollten ihre Bekannten und Freunde dazu anhalten, mit ihren Windhunden regelmäßig zu arbeiten. Denn untrainierte Hunde in den Wettbewerb zu schicken, das kommt der Tierquälerei nahe. Gerhard Franz